ALWA GLEBE

Interview SONIC SEDUCER Musik Magazin (print) / 30.10.2019


Sehr berührend ist Dein Album der stillen Atmosphären und der bewegenden Traurigkeit. Fast ist man geneigt, eine Geschichte dahinter zu wähnen. Ist dem so? Und wieso „Against the Pain“? Gegen welchen Schmerz genau singst Du?

 

Das ist interessant zu hören aber dahinter verbirgt sich einfach ein Mensch mit all seinen Stimmungen, Gedanken und Empfindungen. Indem ich musikalisch in eine Welt im Schmerz verführe, weise ich über den eigenen hinaus. Vielleicht ist das eine Art Kunstgriff, das könnte sein aber ich kann mir vorstellen, das sogar für den Hörer das Einbringen von eigenen Gefühlen und Stimmungen, die sich dann mit der Klangwelt vermischen, zu einem sehr existenziellen Erlebnis macht. Der Schmerz ist ein Leitmotiv in vielen meiner Songs. Das neue Album „Against the Pain“ zu nennen, erschien mir so selbstverständlich, wie ich mit dieser Thematik umgehe. Wenn man den Schmerz immer wieder zum Klingen bringt, wird er zur Vertrautheit und was vertraut ist, wird Teil von Dir, löst sich auf in einer Akzeptanz. „Against the Pain“ ist in diesem Sinne auch nicht als „Kampf gegen den Schmerz“ zu verstehen, keine therapeutische Empfehlung.

Sorgfältige Gitarreneinsätze, Piano-Parts, lediglich leise schwingende Flächen, nur zuweilen vorsichtige Percussions - und darüber Deine ätherische, fragile Stimme von verletzlicher Schwerelosigkeit. in welchen Momenten entstanden die Grundideen für die neuen Songs?

 

Es sind Momente der Abgeschiedenheit, die ich für meine Musik benötige aber auch der Neuorientierung, wie ich sie oft biographisch erlebt habe. Momente, die ich sehr fruchtbar für die Weiterentwicklung der Musik halte, auch wenn sie schmerzlich sein können, das liegt am Bruch, am Neuanfang, wo ich loslassen muss, wo etwas vergeht und wie Du schön sagst, etwas nie wieder so sein wird, wie es war. Es ist aber auch mit einem Schmerz verbunden, der befreit und Abstand bringt, ja sogar einem tieferen Blick ermöglichen kann, sicher tiefer als in der Bequemlichkeit zu verharren. Ich halte es für die Musik und überhaupt für die Kunst unabdinglich, sich immer wieder zu erneuern, nicht bequem zu werden; alles andere ist Mainstream, auf bloßes Gefallen angelegt und langweilig, es tötet die Kunst.

 

Eine sehnsuchtsvolle Traurigkeit, geboren aus Erinnerungen von unwiederbringlichem Glück, die Schwere einsamer Nächte: all dies scheint mir aus Deinen Songs entgegenzutreten. Wie würdest Du selber eine solche Interpretation kommentieren?

 

Es würde mich freuen, das die Musik so viel Raum für Interpretation bietet, das sie berührt und zum Nachdenken anregt, ist es doch ein Zeichen dafür, das sie lebt, das sie einen Dialog ermöglicht und das ich mit dem, was mich im Innersten bewegt, nicht allein bin.

Es ist schwer für mich einen persönlichen Song-Favoriten herauszufiltern. „Into the dark blue sea“ ist eins der Stücke, die mich augenblicklich womöglich am meisten fesseln. Worum geht es in diesem speziellen Song? Gibt es ein bestimmtes Lied, das für Dich persönlich wichtiger ist als alle anderen?

 

Es ist ein Liebeslied, ganz schlicht, ganz ergreifend. Es geht in diesem Lied um eine Liebe zwischen Traum und Wirklichkeit, eine Liebe, die gleichermaßen sucht und findet, die fragt und zweifelt und sich dennoch in allen Höhen und Tiefen immer wieder vereint. Wer sich die Zeit dafür nimmt, den Song zu hören, wird das sofort verstehen. Jedes Lied hat für mich eine besondere Bedeutung, ist verbunden mit der Zeit der Entstehung, einer Stimmung, einem Bild der Erinnerung oder einem Erlebnis. „Nothing stayed the same“ war sehr wegweisend, war es doch der Beginn einer neuen Schaffensphase und befasste sich zugleich mit dem Verlust von zwei mir nahestehenden Menschen. Der Song ist mir schon deswegen sehr nahe.

 

Melancholie, Wehmut: manchmal kann es einem glattweg den Hals zuschnüren. Welche emotionale Publikumsreaktion ist diejenige, die Du anstrebst?

 

Du hast recht, es ist ein sehr existenzielles, radikales Album, das die Dinge beim Namen nennt, nichts beschönigt, sich fern von jeglicher Gefühlsduselei befindet. Es ging mir um Authentizität, um Wahrheit, die tut bekanntlich auch weh, wo wir wieder beim Schmerz sind. Es ist aber auch ein Album voller Liebe und Emotion, oft bis an die Grenzen gehend. Musikalisch war es mir wichtig, diese scheinbaren Widersprüche aufzuheben, d.h. Lieder aus einer außergewöhnlichen Ruhe zu entwickeln, das sie sogar beunruhigen können. Das „I walk“ im Song „Against the pain“ ist zwar ein Gehen aber mitnichten ein leichtes, es wird sogar musikalisch recht abrupt unterbrochen. Wichtig war mir auch, die Quintessenz von einem Song herauszuarbeiten, wo sich nichts mehr aufdrängt oder überflüssig erscheint.

In Deinem Schaffen wird nicht wirklich der sich öffnende Pfad zu optimistischen Lebens-Einschätzungen thematisiert. Oder ist das eine zu düstere Interpretation?

 

Das kann so empfunden werden, muss es aber nicht. Ich schreibe nicht bewusst düstere Lieder, sondern sehe die Welt so, wie sie ist, fern von gut und böse. Um Deine Frage zu beantworten: ja, zu düster, wenn ich Optimismus erwarte. Nein, da ich mich gar nicht für die Hoffnung zuständig fühle, sie ist so trügerisch, sondern das Leben bejahe, was an sich positiv ist - ganz unabhängig davon, welche Höhen und Tiefen es mit sich bringt. Ob das als optimistisch empfunden werden kann, lasse ich einfach mal offen.

 

Im Jahre 2006 sagtest Du: „ Es ist nicht wichtig, wie weit oder schwierig der Weg ist, solange er überhaupt gegangen wird“. Würdest Du das immer noch unterstreichen?

 

Ja, der Beweis ist das vorliegende Album. Es war ein sehr langer, oft steiniger Weg der Umsetzung, die Bedingungen waren nicht die allerbesten aber ich habe es geschafft, bin den Weg gegangen, das ist das Wichtigste überhaupt - alles andere wird sich zeigen, darauf habe ich keinen Einfluss. Ich empfinde jedes fertiggestellte Album wie eine Flaschenpost, ob, wann und wie sie ankommt, bleibt ungewiss.

 

Zwischen „Irrlichter“ und „Against the Pain“ liegen ungefähr dreizehn Jahre. Wieso diese lange Pause?

 

Es war nicht so geplant aber es hat aus verschiedensten Gründen diese Zeit gebraucht. Ich bin froh und dankbar darüber, das ich mir das zeitlich als im wahrsten Sinne des Wortes „Independent Künstlerin“ erlauben konnte. Finanziell war es äußert schwierig, keine Frage und dennoch empfinde ich es geradezu als Luxus in dieser schnelllebigen Zeit, das ich mir das gegönnt habe. Schwierigkeiten sollen eben nicht abhalten, im Gegenteil, sie stellen eine besondere Herausforderung dar.

Und aus welchem Grund dominierte die deutsche Sprache - und nun die englische?

 

Auf den ersten beiden Alben habe ich gern gezeigt, wie gut sich die deutsche Sprache singen lässt, das war noch eine Seltenheit; das neue Album sollte in jeder Hinsicht einer Weiterentwicklung sein, wobei der Zuspruch, den ich im Ausland erhalten hatte, sicher mitentscheidend war, das es ein international verständliches Album wird. Interessanterweise kehre ich damit sogar zum Ursprung zurück, wo ich unter dem Einfluss der prägenden Auslandsaufenthalte erste Lieder in englischer Sprache verfasst habe. Ich bin sprachlich ohnehin sehr aufgeschlossen, arbeitete momentan an einem Song, der teilweise Französisch wird.

 

Mit einem Bryan Ferry-Song und einer Lou Reed Komposition rundest Du das Bild Deines Albums ab; diese zwei sehr individuell gestalteten Coverversionen gleiten nahtlos in Dein ureigenes Klanggewand über. Was verbindest Du mit diesen zwei Klassikern?

 

Beide Künstler sind bekannt, die beiden Songs leider nicht, so dass ich sie immer als „unentdeckte Juwelen“ empfunden habe. Ich verbinde mit diesen Liedern auch eine Zeit, die mich sehr geprägt und geformt hat. Das zweite Roxy Music Album mit „Strictly Confidential“, das 1973 erschien, empfand ich schon damals als sehr „dark“, da gab es diese Begrifflichkeit wohl noch gar nicht. Das weniger beachtete „Rock and Roll Heart“ Album von Lou Reed verbinde ich sogar mit seinem Live-Konzert in Hannover, nur zwei Tage nach meinem 17. Geburtstag. Aus Respekt vor Originalsongs habe ich eigentlich nie das Bedürfnis gehabt zu covern aber aus dem gleichen Respekt habe ich mich dann doch an diese Coverversionen gewagt und es nicht bereut. Die Lieder schienen wie für dieses Album geschaffen und so vertraut wie ich mit ihnen war, hatte ich die notwendige Empathie und konnte sie mühelos interpretieren.

 

Redakteur: Kym Gnuch