Alwa Glebe "Lieder sind keine mathematischen Formeln"
Interview, Amboss-Mag Online Magazin (Dezember 2006)
Es ist fast Mitternacht und ich zerbreche mir den Kopf, wie ich hier eine passende Einleitung hinbekommen könnte. Ergebnis: Passend zum Titel des Interviews gibt es keine, alles was die Musik ausdrückt, was die Künstlerin sagen will, sie beeinflusst hat, was sie ausmacht wird in ihren ausführlichen Antworten deutlich. Ich bitte euch nur um eins: Aufmerksamkeit. Wer Interviews überfliegt ist hier Fehl am Platze. Für Infos im Vor- oder Nachfeld besucht www.alwaglebe.de oder lest die Reviews.
Viel Spaß beim Lesen und nochmals ausdrücklichen Dank an Alwa für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen und den liebevollen Umgang mit meinen Mails. (andreas)
Deine Titelseite im Internet lässt Jim Kerr von den Simple Minds zu Wort kommen. Welche Bedeutung hat für dich diese Aussage?
Du meinst "The voice of an angel, a dark angel"? Ich finde, es ist ein schönes Bild, noch dazu von jemandem, der ebenfalls singt, so dass es für mich schon eine subtilere Bedeutung hat. Jim Kerr gehört zu den Musikern, die sich recht früh zu meiner Stimme geäußert haben. Für viele mag diese Einschätzung von ihm vielleicht erstaunlich sein, immerhin vertritt er mit seiner Band eine ganz andere musikalische Ausrichtung. Für mich war es weniger überraschend, da wir uns sehr lange kennen, die musikalischen Wege kreuzen sich bereits seit 1979 und nicht erst, wie viele meinen, seit der gemeinsamen Tour 1982. Im Gegensatz zu den Simple Minds, die in erster Linie für die "glory side" des Lebens stehen und das entsprechend huldigen, vertrete ich die "dark side, was aber nicht heißt, dass ich diese huldige, dafür findet sich mit Sicherheit zuviel Klage und Wehmut. Ich versuche vielmehr, sie auf meine Art und Weise zu erhellen, bestenfalls verständlicher und zugänglicher zu machen. Ich werde nicht dem Versuch erliegen, die eine Form des Aufhellens mit der anderen zu vergleichen, beide sind legitim.
1982 warst du mit Index Sign auf Tour, warum hat man von Index Sign nichts mehr gehört?
Das ist einfach zu erklären. Wir haben uns Ende 1982 aufgelöst, nachdem wir noch im Frühjahr mit den Simple Minds unterwegs waren. Nach Punk, New Wave und NDW haben wir damals nicht geahnt, dass sich eine eigenständige „schwarze Szene“ entwickeln würde, die unsere Musik dankbar vielleicht aufnehmen könnte. 1982 schien alles im Niedergang, die erwähnten musikalischen Richtungen ausgepowert, die Szene schlichtweg übersättigt. Erst Mitte der 80er, wo ich mich allerdings für einige Zeit im Ausland befand, erst in San Francisco, später in Glasgow, ergaben sich neue und sehr viel versprechende Musikentwicklungen. Das war nicht nur in der deutschen Musikszene so, das konnte ich überall beobachten.
Nun zum Heute: Aktuell hast du deine Debüt CD neu auf den Markt gebracht. Wo siehst du die Unterschiede zwischen „Irrlichter“ und dem Erstling?
Jedes neue Album ist sicherlich eine Weiterentwicklung des vorangegangen und so würde ich auch „Irrlichter“ sehen. Die Grundstimmung ist ähnlich, auf der „Debüt“ vielleicht etwas schwerer und weitaus enger am Text orientiert, auf „Irrlichter“ vielmehr filigran, d.h. in jeder Hinsicht verfeinerter. Das erste Album unterlag einer sehr langen Schaffensphase und wurde in Nürnberg, ziemlich abgeschottet vom Rest der Welt, in einem Dachzimmer eingespielt. Die klaustrophische Stimmung mag die Platte beeinflusst haben. Basis hierfür waren Texte, an denen ich sehr viele Jahre geschrieben und modelliert habe, so dass die Ausrichtung der Musik sich recht eng am Wort orientiert hat. „Irrlichter“ ist da weitaus offener angelegt, hat zwar nicht viel weniger Zeit verlangt, verbindet aber auf homogenere Weise. Für beiden gilt aber der Anspruch, Text und Musik gleichwertig einfließen zu lassen. Besonders schön zeigt sich das am Titelstück „Irrlichter“. Ich könnte heute nicht mehr genau sagen, was zuerst da war, Text, Musik, Gesangslinie, das ist wie aus einem Guss! Was alle meine Lieder verbindet, ist die Liebe zur Ästhetik, zur Form und in diesem Zusammenhang natürlich auch zur optimalen Gesangslinie. Sie ist für mich das Rückgrat eines Songs, muss eine sehr eigene Grundstruktur bieten, ihn förmlich tragen! Ideen entstehen bei mir in der Regel sehr intuitiv und schnell, jedoch ist für die Ausarbeitung meist ein langer, intensiver Prozess notwendig. Ich bin schon ein wenig perfektionistisch veranlagt, das muss ich zugeben. Maß halten und kritisch filtern können, ist ein ganz wichtiges Kriterium, wobei weniger eben mehr bedeutet, da gilt auch für die Musik von Alwa Glebe.
Befassen wir uns zunächst mit dem Album „Irrlichter“. Was waren die Hauptbeweggründe, diesen Titel zu wählen?
Mir hat die Wortspielerei gefallen. Entgegen der landläufigen Meinung sind Irrlichter kein Aberglaube, sondern ganz reale Lichterscheinungen am nächtlichen Himmel. Sie treten recht kurz und unvorhersagbar auf und sind schon deswegen ein Phänomen, das fasziniert. Mir gefällt, wie diese Erscheinungen über Jahrhunderte Fragen aufgeworfen haben, über ihre Entstehungsweise aber auch Bedeutung. Es lässt sich viel daran ablesen. Was für uns also über lange Zeit ein Mysterium war, ist heute ein erklärbares Phänomen. Und dennoch hat es nichts an Faszination eingebüßt hat. Was gestern noch als Wahrheit galt, kann heute schon Lüge sein und wer weiß, ob diese Wahrheit sich nicht schon längst wieder überholt hat, bevor sie uns einer weiteren Illusion beraubt. Wir können also nie sicher sein, so dass das Suchen nicht weniger reizvoll ist als das Finden. Fragen aufwerfen ist etwas Elementares, dass in meinen Liedern eine große Bedeutung hat. Mich interessieren die Grundfragen, die das Leben aufwirft und was sich scheinbar selbstverständlich daraus ergibt. Außerdem bin ich neugierig, was für mich lebensnotwendig ist, um sich nicht in eindimensionalen Bahnen zu bewegen. Aber um zur Frage zurückzukommen. Ich finde Irrlichter einfach schön, ganz egal, wie sie sich heute oder in Zukunft erklären lassen.
Chanteuse und deutsche Texte, dass dürfte seit einigen Jahren ein Widerspruch sein. Wo siehst Du Dich selbst im neuen Schwall der deutschsprachigen „Künstler“?
Wahrscheinlich bin ich so ein Irrlicht geworden, ein „musikalisches“ Phänomen, das in regelmäßigen Abständen in Erscheinung tritt aber nie ganz greifbar ist. Das liegt womöglich daran, dass ich mag keinen Rummel um meine Person mag. Ich konzentriere mich lieber auf meine Arbeit und hoffe, dass damit alles gesagt ist. Ob Chanteuse und deutsche Texte im Widerspruch stehen, weiß ich nicht, es gab immer wieder Sängerinnen, die das vereinen konnten. Meine musikalischen Wurzeln liegen ja nicht unbedingt im Chanson, obgleich es gesangliche Anklänge gibt, sondern ganz klar in der Rockmusik, auch wenn ich diese persönlich sehr weit fasse. Das beginnt mit den Doors, Velvet Underground, Lou Reed und natürlich David Bowie. Glücklicherweise alles Künstler, die ich schon sehr früh durch meinen älteren Bruder kennen und schätzen gelernt habe, da war ich im Grunde noch ein Kind. Später habe ich mich vor allem für die deutschen Elektronikwurzeln begeistert, insbesondere Kraftwerk und Neu, deren Produktionen ich sehr wegweisend fand. Glamrock ist sicher starker Einfluss, wobei ich Roxy Music immer bewundert habe, Bryan Ferry auch heute noch für einen exzellenten Sänger halte. Iggy Pop habe ich vor allem in der sehr konstruktiven Zusammenarbeit mit Bowie und Eno geschätzt. Punk und New Wave war so gesehen eine ganz selbstverständliche Folge als dieser Vorlieben und fand für mich in Television, Talking Heads und Magazine die würdevollsten und intelligentesten Vertreter. Was aber den Gesang betrifft, gab es für mich keine konkreten Vorbilder, keine Stimmen, an denen ich mich hätte orientieren können. Für den typischen Rockgesang liebe ich wohl zu sehr die leisen Töne, mag auch klassischen Gesang. Im Grunde habe ich eher einen Hang zum Lied- als zum Rockgesang. Es wäre gar nicht so absonderlich für mich, ein Schubert-Lied zu interpretieren. Sicher nicht im üblichen Sinne aber mit nicht weniger Anspruch und Ausdruck! Wo ich mich im Schwall der deutschsprachigen Künstler sehe, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich empfinde mich eigentlich ganz bescheiden als sehr individuelle Ergänzung, als eine Nuance zum dem, was der Musikmarkt sonst so offeriert.
Ein Name, der in Reviews immer wieder fällt ist „Nico“. Damit kann, glaube ich, jede Sängerin gut leben. Was unterscheidet dich aber persönlich gesehen von „Nico“?
Viel und wenig! Was die menschliche Stimme angeht, so gibt es meines Erachtens nichts Persönlicheres, womit jeder Vergleich eher hinfällig wird. Eine Stimme ist zudem äußerst seismographisch und vermag durch hohe Emotionalität etwas zum Schwingen zu bringen, wo Worte oft versagen oder unzulänglich sind. Sie lügt nie. Wie Nico und Alwa Glebe. Sie singen anders, was sich als größte Gemeinsamkeit aber auch Unterschied interpretieren lässt.
Kritiken und Vergleiche gibt es viele, was war bis jetzt der abwegigste?
Überraschenderweise gab es sehr viel Übereinstimmung, mancher Vergleich viel weniger abwegig als vermutet, wie der zu Grace Jones. Die Verwandtschaft liegt schon nahe, was an der ausgeprägten Formstrenge, dieser Coolness liegt, die Grace Jones und Nico auszeichnet. Amüsiert hat mich aber eine Kritik aus Franken, wo ich seit einigen Jahren wohne: „Housemusik für Zombies und andere Weltentrückte!“ war das Fazit zu „Irrlichter“. Wer die bodenständigen Franken kennt, wird sich nicht weiter wundern. Es gibt offensichtlich immer noch sehr starke Berührungsängste gegenüber dunkel gefärbter Musik.
Nach musikalischen Vorbildern zu fragen ist immer ein trügerisches Vorgehen. Daher hier nur die Frage nach literarischen Interpretationsquellen und welchen (schreibenden) Menschen hast Du während des Germanistik-Studiums lieben, welchen hassen gelernt?
Im Studium lernt man alle Seiten kennen, das ist keine Frage und sehr wichtig für die Wertschätzung. Ich hatte Glück, konnte mich der schreibenden Zunft, die ich von jeher geliebt habe, sehr intensiv widmen. Gehasst habe ich nicht, das Leben ist zu kurz, um sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die keine Inspiration bieten, nur destruktiv sind. Ich filtere gern, das macht mir nichts, das ist sehr wichtig. Es gibt wenige, die ich konstant lese, die für mich schier unerschöpflich sind wie z.B. Friedrich Nietzsche und Franz Kafka und die mich gedanklich irgendwie immer durchs Leben begleiten. Ich liebe dichtende Philosophen und philosophierende Dichter; alle aufzuzählen würde jetzt wahrscheinlich den Rahmen sprengen aber was die Lyrik betrifft, so gehören sicher die Werke von Gottfried Benn, Paul Celan und Rose Ausländer dazu. Mich interessieren auch aktuelle Streitschriften, wie die des Herrn Sloterdijk zum Beispiel; ich bevorzuge Denkanstösse, bei denen es ruhig mal kontrovers zugehen kann. Und ich liebe außergewöhnliche Biographien. Rüdiger Safranski hat sehr empfehlenswerte zu Nietzsche und Heidegger verfasst. Die Literatur ist dennoch nur bedingt eine Inspirationsquelle, mein Kunstinteresse ist sehr groß. Die meisten meiner Texte beschäftigen sich mit Gedanken und Fragen, die das Leben und die Kunst aufwirft und die mir keiner, auch nicht die beste schreibende Zunft, abnehmen kann. Ein wunderbarer Film kann mich ebenso berühren wie das Kennenlernen neuer Menschen, Städte und Landschaften.
Du könntest im Feuilleton der FAZ oder im Kulturteil des Spiegels erscheinen. Stattdessen taucht Dein Name in den Gazetten der „schwarzen“ Musik auf. Gibt es Gründe, dass gerade hier ein Publikum gesucht wird?
Erstaunlicherweise brauchten wir gar nicht suchen, das hat sich auf wundersame Weise von selbst ergeben. Ich kann der schwarzen Szene für ihre Offenheit und Bereitschaft, sich auf Alwa Glebe unvoreingenommen einzulassen, nur dankbar sein. Ich war doch bis dato völlig unbekannt für die Leute. Ob die genannten Kulturmagazine sich für Alwa Glebe interessieren könnten, kam mir bislang nicht in den Sinn. Ich freue mich über jede Wertschätzung, ganz gleich, um welche Magazine es sich handelt. Die Größe einer Zeitschrift ist dabei weniger von Belang als die Qualität der Kritik.
Für den normalen Konsumenten dürfte Deine Musik zu schwermütig sein, für „normal“ sozialisierte Ohren sind Deine Texte zu anstrengend. Erstens, kannst Du dieser Behauptung zustimmen? Zweitens, wie wichtig ist Dir in einer Kritik, das Wort „anspruchsvoll“ zu lesen?
Wahrscheinlich hast Du Recht. Es müsste eigentlich durch den Reichtum an harmonischen Strukturen und Melodien nicht so sein aber wenn’s dann so bitter-sweet rüberkommt, berührt es auch unangenehmere Gefühle. Vielleicht ist es auch diese irritierende Gelassenheit im Gesang, mit der ich wie selbstverständlich die meisten Hoffnungen vertreibe. Ob die Texte zu anstrengend sind, weiß ich nicht zu beurteilen. Ich schreibe sehr komprimiert und reduziere auf das Wesentliche; manch einem ist das vielleicht zu wenig, fehlt die letzte Erklärung. Missionieren ist mir aber ein Gräuel. Es sind ja in erster Linie Gedanken, Bilder und Gefühle, die ich vermitteln möchte. Die positive Resonanz hat gezeigt, dass der Zugang gar nicht schwer ist. Es braucht lediglich ein bisschen Interesse und Bereitschaft, sich vorbehaltlos auf die Musik einzulassen. Wer oberflächliche Unterhaltung möchte, wird natürlich von Alwa Glebe enttäuscht sein. Es ist wichtig, Ansprüche an seine Arbeit zu haben, von daher ist „anspruchsvoll“ ein schönes Kompliment, einfach ein Qualitätsmerkmal. Wem etwas zu anspruchsvoll ist, sowas soll’s ja auch geben, der sagt eigentlich nur, dass er es gern leichter und bequemer haben möchte, also so, dass es ihn nicht weiter „beansprucht“. Das ist nicht die musikalische Seite, die Alwa Glebe vertritt. Anspruchsvoll muss übrigens nicht im Widerspruch zu schön, hörbar und auch unterhaltend stehen. Meine Musik ist hoffentlich der beste Beweis.
Du spielst mit der deutschen Sprache, für viele klingt sie hart, Dir gelingt es, sie zerbrechlich zu inszenieren und gleichzeitig anmutig der Wortspielerei zu huldigen. Wie wichtig ist dir in dieser Symbiose die Interpretationsfreiheit des Hörers?
Die Freiheit, die ich mir herausnehme, indem ich ein Lied so schreibe, wie ich es für richtig halte, billige ich auch dem Hörer beim Hören und Interpretieren zu. Lieder sind keine mathematischen Formeln, sie benötigen keinen Strich darunter für ein Ergebnis, das keinen Widerspruch duldet. Meine Lieder sind Interpretationen der Welt, die können so verstanden werden, müssen es aber nicht. Es spricht für die Kunst, wenn sie Freiräume zulässt, was nicht heißt, dass sie unkonkret ist, nicht Stellung bezieht. Kunstwerke sind immer Stellungnahmen, aber wenn sie jemand nicht teilt, missversteht oder einfach anders sieht, ist das sein gutes Recht. Irren ist menschlich, es ändert zum Glück nichts an der Kunst.
Dass die Kritiken zu den ersten beiden Alben so einhellig und verständnisvoll ausfallen würden, habe ich zum Beispiel nicht erwartet und das alles erkannt wurde, ohne dass ich es erst näher hätte erklären müssen, spricht sicher für die Musik. Es gibt kein schöneres Gefühl, die Kommunikation hat funktioniert und das sogar auf internationaler Ebene! Es gab englischsprachige Kritiken, in denen aus der Musik, der Stimme und den Bildern heraus, die sich ergeben, alles verstanden wurde. Das hat mich sehr bewegt. Nicht alles entsteht im totalen Bewusstsein, vor allem nicht im Schaffungsprozess, der ist viel intuitiver als gedacht. Es gibt Erlebnisse, die erschließen sich erst im Nachhinein, so wie sich manche Kunst erst durch die Interpretation von außen, dem Zur-Schau-Stellen eröffnet. Das ist gut so, es ist schließlich keine Arbeit in den toten Raum hinein, sie spricht Menschen an, verlangt Resonanz, egal in welcher Form. Hier geht es auch weniger darum, ob die Kunst geliebt oder gehasst wird, wichtig ist, dass sie verbindet und auf welcher Ebene das geschieht, kann sehr unterschiedlich sein. Ich würde nicht nur die Verstandesebene gelten lassen, es gibt einen Reichtum an Gefühlen und Stimmungen, die mehr als vermittelnd sein können. Ich empfinde die deutsche Sprache alles andere als hart, sie ist sehr poetisch und schon in diesem Sinne höchst musikalisch. Es ist zwar keine Leichtigkeit, sie zerbrechlich zu inszenieren, denn gerade das Leichte erweist sich oft als das Schwere aber es ist eine Herausforderung, der ich mich gern stelle. Ich habe diese Angst vor der deutschen Sprache und ihrer Singbarkeit nie ganz verstanden. Vielleicht verbirgt sich dahinter eine Angst vor Emotionalität, die dann mit Gegröle umschifft wird. Neuerdings wird wieder mehr gesungen, gerade auch von einer jüngeren Generation. Solange das nicht in eine schlagerähnliche Gefühlsduselei ausartet, finde ich das ganz begrüßenswert.
Du erschaffst wundervolle, surreale Klanggemälde und deine Stimme erscheint als wortreiches Messer, gleichwohl könnte sie auch zusätzliches Instrument sein. Wie würdest du deinen Gesang im Kontext mit der Musik beschreiben?
Der Gesang ist nicht von der Musik zu lösen, würde ich sagen. Ich gehe mit meiner Stimme im Grunde sehr malerisch vor, versuche mit ihr die musikalische Stimmung und Textintention zu erfassen. Dies ermöglicht, wie mit einem Pinsel ausgeführt, sehr vielschichtige Facetten, unter anderem eine sehr eigene, stark ausgeprägte Dramaturgie. Surreale Klanggemälde, wie Du es nennst, finde ich ein sehr passendes Bild, ebenso der Vergleich der Texte mit einem Messer. Es stimmt schon, ich kann sehr direkt und sezierend sein, es ist ja auch keine liebliche „Wald- und Wiesenlyrik“. Kafka hat ein Buch mal mit einer Axt verglichen, die für das gefrorene Meer in uns sein sollte. Ich schreibe Texte, die Wunden schneiden, sezieren und offenlegen, vielleicht auch mal wehtun und hülle sie in eine Stimmung der Selbstverständlichkeit, als gäbe es nur diese eine und keine andere Welt, die Welt im Schmerz. Ich muss zugeben, dass der Schmerz ein sehr zentrales Thema meiner Lyrik ist und nicht umsonst das tragende Element meiner Stimme ist.
Der Text hat eine große Bedeutung, welchen Einfluss hat dein Germanistikstudium auf das Schreiben der Texte ausgeübt. Wie verschmelzt sich Germanistik mit Philosophie?
Ich kann das eine nicht vom anderen trennen. Für das eigene, kreative Schreiben ist in diesen Studiengängen oftmals nicht genügend Raum. Wissenschaft und Kunst sind eben zwei verschiedene Paar Schuh, dafür musste ich erst den Kopf wieder frei bekommen. Ich würde den Einfluss nicht überbewerten, zumal ich vor dem Studium bereits einige Jahre kreativ tätig war, nicht nur musikalisch, auch textlich. Weder befähigt das Philosophiestudium zwangsläufig zum Philosophen, noch das Germanistikstudium zur Dichterexistenz. Im Gegenteil, es gehört schon eine sehr große Portion Freiheitsdrang dazu, sich nicht im Universitätsbetrieb – und letztendlich sich selbst - zu verlieren.
Philosophen haben ja immer einen Satz den Intellektuelle gerne zitieren. Welcher Satz sollte von dir zitiert werden, welchen Fremdsatz zitierst Du am liebsten?
Es gibt Menschen, die haben solche Weisheiten immer parat. Mir ist das oft suspekt und es liegt mir persönlich auch nicht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich es für nicht ungefährlich halte, etwas aus dem Zusammenhang heraus zu zitieren. Es gibt natürlich wunderbare Zitate, die ich nicht schöner formulieren könnte. Ein Zitat, wenn ich jetzt so direkt gefragt werde, bietet sich von Nietzsche an und könnte programmatisch für meine Musik stehen:
Die edelste Art der Schönheit ist die, welche nicht auf einmal hinreißt, welche nicht stürmische und berauschende Angriffe macht (eine solche erweckt leicht Ekel), sondern jene langsam einsickernde, welche man fast unbemerkt mit sich fortträgt und die Einem im Traum einmal wiederbegegnet, endlich aber, nachdem sie lange mit Bescheidenheit an unserem Herzen gelegen, von uns ganz Besitz nimmt, unser Auge mit Tränen, unser Herz mit Sehnsucht füllt.
Meine Musik ist Zitat genug.
Die Titel deines Debüts bestanden allein aus einem Wort, bei „Irrlichter“ schien es so weiterzugehen. Warum bist Du von dieser Strategie abgewichen?
Ich wiederhole mich ungern. Titel haben wir mich nicht die Bedeutung, wie es scheint. Sehr viele Texte entstehen zunächst ohne oder lediglich mit Arbeitstitel, wodurch sich manchmal ein fragmentarischer Charakter erklärt. Ich könnte sogar ganz auf Titel verzichten aber wer weiß, dann würden womöglich meine Texte fälschlicherweise wie die von Celan und Kafka als unverständlich oder chiffriert gelten, was doch sehr bedauerlich wäre, zumal ich ja über die Worte hinaus Musik offeriere, die auf eine andere Verstandesebene führt.
Kommen wir zu den Texten. Das Gesamtkonstrukt erscheint selten in einem Guss, eher sind es abgehakte Fragmente einer ausdrucksstarken Gefühlswelt. Setzt du die Macht des Wortes über die Macht des Sinnes eines Satzes?
Das ist eine sehr interessante Frage, die sich nicht leicht beantworten lässt. Es gibt sowohl fragmentarische Texte wie auch Texte, die aus einem Guss stammen, das Titelstück „Irrlichter“, das sehr abgerundet ist, habe ich in diesem Zusammenhang bereits erwähnt. Das bedeutet also, dass ich weder das eine noch das andere überbewerte. Ein Text macht für mich nicht weniger Sinn, weil er fragmentarisch ist, dies bezieht sich lediglich auf die formale Auslegung. Absurdität macht Sinn, auch wenn sie unsinnig erscheint. Worte können sehr machtvoll sein, stehen aber nie allein, sondern im Sinnzusammenhang, egal ob dieser fragmentarisch, absurd, vielleicht sogar verrückt erscheint. Ob etwas sinnvoll oder sinnlos empfunden wird, ist sicher sehr subjektiv und mir liegt Verallgemeinern nicht. Sinnfragen sind für mich ebenso sinnvoll wie sinnlos, es ändert nichts an der Tatsache, dass sie immer wieder gestellt werden. George Tabori ist da zu beneiden, der sich im hohen Alter in Interviews erlaubt, Warum Fragen nicht mehr zu beantworten. Wenn meine Musik wirkt, erübrigt sich für mich die Sinnfrage. In all den Jahren, wo meine Musik der Öffentlichkeit noch nicht zugänglich war, nicht wirken konnte, hat sich für mich die Sinnfrage allerdings auch nie gestellt. Eigentlich spielt die Macht der Gefühle eine sehr viel größere Rolle für mich, das Wort, ob allein oder im Zusammenhang stehend, ist trügerisch. Zum Glück sind meine Lieder viel unkomplizierter als diese Erklärungen hier, das hoffe ich jedenfalls.
Entstehen die Texte abseits eines musikalischen Konzeptes und gibt es bestimmte Stimmungen, in denen du besonders intensiv in die Welt deiner Texte eindringst?
Das ist unterschiedlich. Für das Debüt habe ich überwiegend auf Texte zurückgegriffen, die auch außerhalb der Musik entstanden und trotzdem geeignet waren. Das passt nicht immer und lässt sich auch nicht passend machen, indem man es irgendwie hineinquetscht. Ansonsten schreibe ich die meisten Texte parallel zur Musik, habe bereits Ideen, eine Gesangslinie oder eine Stimmung im Kopf, die mir hilft, passende Worte zu finden. Es ist im Grunde ein ständiges Wechselspiel, mal geht etwas mehr zu Gunsten der Melodie, mal tritt das Wort in den Vordergrund und bestenfalls fügt sich alles zum harmonischen Ganzen. Ich mag auch Widersprüchliches wie schwierige Worte leicht zu singen oder eine traurige Textaussage mit schönster Melodie zu untermalen. Was ich oft versuche, ist Stimmungen zu „schichten“, indem ich eine Gesangslinie auch mal ohne Text hinterlege, ähnlich einem Instrument, was dem Gesamtklang eine tiefere Struktur verleiht. Ich bin generell ein sehr ausgeprägter Stimmungsmensch, insofern fällt es mir leicht, mich in gewisse Stimmungen hineinzuversetzen, sie sogar zu produzieren. Schreiben kann ich nur in melancholischer Stimmung, warum das so ist, weiß ich nicht, ich habe es nie anders gekannt, das war schon in meiner Kindheit so. Es ist eine Stimmung, die mich zur Ruhe kommen lasst, die Muße verbreitet und in der ich meinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Melancholie hat für mich überhaupt nicht diese klassifizierende, depressive Bedeutung, die nur noch lähmt. Mich lässt sie Innehalten, inspiriert zu kreativer Arbeit, was ich als sehr angenehm empfinde. Meine Texte entstehen sehr oft unterwegs, auf Reisen, in Cafés, Hotelzimmern, an Plätzen in Großstädten, wo ich mir selbst überlassen bin, die Anonymität gewahrt bleibt oder in beschaulichen, fast verschlafenen Orten, wo die Zeit stehen geblieben scheint. Ich muss dafür nicht weit reisen, mich fasziniert Ostdeutschland, Städte wie das abgelegene, malerische Greiz oder Görlitz, eine Stadt wie aus einem Bilderbuch. Ich sitze eher wenig am Schreibtisch, zumindest nicht in der Entstehungsphase, das geschieht erst nach der Rückkehr, wenn ich das Material überarbeite. Ja, und dann schotte ich mich regelrecht ab, das ist die Kehrseite der Medaille.
Sehnsucht, Verzweiflung, Trauer. Sind derartige Gefühle ein Hort des menschlichen Daseins, dessen Intimität den Einzelnen wärmt?
Es sind zumindest Gefühle, die in all meinen Liedern sehr präsent sind. Ob diese einen Hort bilden können, der durch Intimität wärmt, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Hort hieße ja, dass es einen sicheren Ort, eine Zuflucht gibt. Sicher ist aber, dass nichts sicher ist und da es sich bei diesen Gefühlen nicht um die besten handelt, fällt mir der Gedanke nicht leicht, dass sie erwärmen könnten, was ja auch mit einem gewissen Wohlgefühl verbunden wird. Sehnsucht ist z.B. ein sehr widersprüchliches Gefühl, es kann sowohl für Stimulans stehen, d.h. anregend und durchaus inspirierend aber auch für Destruktion, eher zehrend und in diesem Sinn zermürbend. Verzweiflung wird wohl niemand mit Euphorie gleichsetzen, es ist ein Gefühl, das mit Machtlosigkeit verbunden ist, so wie die Trauer etwas ist, das zwar betrübt aber immerhin vergeht. Hier ist es nur eine Phase, in der etwas Negatives verarbeitet wird, meistens ein Verlust. Verzweiflung hingegen erscheint wie ein Endpunkt. Derartige Gefühle gehören zum menschlichen Dasein wie die Luft zum Atmen, ganz egal, wie sie im Einzelnen interpretiert und empfunden werden. Wenn es überhaupt einen Hort gibt, in dem auch solche Gefühle etwas Wärmendes, weil Vertrautes bekommen, dann ist es vielleicht in der Musik. Ein schöner Gedanke, den ich einfach mal so stehen lasse.
Die Texte in Verbindung mit der kühlen Untermalung verbergen eine dezente Phobie, lassen aber einen Freiraum. Ist der Depressive verloren, wird der Manische geheilt?
Sicher vermittelt eine Textzeile wie „Enge Gassen wachsen uns entgegen“ im Song „Anfang“ ein sehr ausdrucksstarkes Bild für eine Phobie auslösende Situation. Ich arbeite ganz gern mit solchen Bildern, um sehr vielschichtige Gefühlswelten, eben auch Phobien, zu veranschaulichen, zum Klingen zu bringen. Für diesen Song hat sich als Untermalung der recht knarrende Ton meines uralten Akkordeons angeboten. Das Gefühl der Enge und Gedrängtheit wurde dadurch unglaublich verstärkt. Die Frage, ob der Depressive verloren ist oder der Manische geheilt wird, weist recht weit über meine meiner Musik hinaus, die ja lediglich aufzeigt. Darf ich zurückfragen? Warum sollte der Depressive verloren sein und der Manische der Heilung bedürfen? Solange niemand ernsthaft zu Schaden kommt, sehe ich keinen Handlungsbedarf, wobei die beste Entscheidung sicher nur in der Berücksichtigung des Einzelfalls liegen kann.
Gibt es einen Song von Alwa Glebe, der quasi als Sinnbild für deren Musik, deren Intuition gelten könnte?
„Irrlichter“ ist durch seine Vielschichtigkeit sehr repräsentativ. Gegensätze wie Leichtigkeit und Schwere werden vereint, Fragen werden aufgeworfen, die keiner Antwort bedürfen, zudem vermittelt der Song eine Atmosphäre von sehr durchgängiger, ausgesprochen „unruhiger Gelassenheit“, wie ich sie mal nennen möchte. „Irrlichter“ entführt in eine andere Welt, bewegt sich gleich einem Seiltänzer zwischen Hoffnung und Verzweiflung. „Vielleicht ist es so, wer weiß das schon“, singe ich und entlasse in Freiräume.
Kannst Du dir in jeder Stimmungslage deine Musik zu Gemüte führen?
Ja, warum nicht. Ich höre sie auch immer wieder neu, je nach Stimmungslage.
Mittlerweile bist du mit Unterbrechungen seit über 24 Jahren in der Musikszene. Was hat sich in der Zeit positiv, was negativ verändert?
Positiv sehe ich das Internet, das gerade für den Independent-Bereich viele Möglichkeiten geschaffen hat. Diese Szene, und das finde ich erstaunlich, hat sehr selbstbewusst den Amateurstatus abgelegt, der ihr sehr lange nachgesagt wurde. Mittlerweile findet sich dort mehr Qualität als im etablierten Musikmarkt. Äußerst negativ finde, dass die Wertschätzung von künstlerischer Arbeit insgesamt einen Werteverfall erlebt. Dieses bedenkliche Klima wurde vor allem durch das seelenlose Denken in Marketing- und Absatzfragen der „Großindustrie“ geschaffen, indem die Frage der musikalischen Qualität gar nicht mehr von Belang ist. Was sich verkauft, ist gut, was nicht, ist schlecht. So einfach ist das heute, was ja nichts weiter heißt als Kommerz vor Kunst; Quantität vor Qualität. Free Downloads könnten kein besserer Ausdruck einer Zeit sein, in der viele immer mehr für immer weniger haben wollen und die Urheberrechte der Künstler mit Füßen treten. Das ist schade, sollte aber nicht davon abhalten, weiterhin Musik zu machen; es gibt immer wieder Gegenbewegungen, worauf ich seit Jahren vertraue und die ja gerade erst in schwierigen Zeiten entstehen.
Im nächsten Jahr soll es erste Live-Auftritte geben. Gibt es hier bereits Planungen, wo sie stattfinden sollen und in welchem Rahmen?
Es gibt verschiedene Planungen, allerdings sollen die Auftritte in einem Rahmen stattfinden, der gar nicht so leicht zu finden ist. Diese ganze Ochsentour der früheren Liveauftritte in den 80ern hat mich in der Hinsicht sensibilisiert, dass ich mir schwerlich ein Umfeld vorstellen kann, in dem ich mich deplatziert fühle. Ich wünsche mir Intimität und Nähe sowie optimale Soundverhältnisse, damit das subtile Gerüst der Musik Tragen kommt. Im letzten Jahr hatte ich das große Glück, Antony and the Johnsons live zu erleben, was ich voller Bewunderung genossen habe, die musikalische Umsetzung war einfach perfekt. Meine finanziellen Mittel erlauben mir zwar keine Orchesterbegleitung aber ich kann schon jetzt versprechen, dass es dennoch eine sehr spannende Angelegenheit wird, die den konzertüblichen Rahmen sprengt!